Bureaucracy and Mobility in Late Imperial Russia : Reflections on Elite Careering and Imperial Biographies in a Multiethnic Empire
Der Vortrag stellt das Forschungsprojekt „Imperiale Biographien von Funktionseliten in Vielvölkerreichen“ am Beispiel des Russischen Reichs vor. Es geht dabei zum einen darum, die hohe Mobilität der imperialen Akteure in den Blick zu nehmen und deren Relevanz für den Wandel der Reichsverfassungen zu diskutieren. Der Fokus liegt hier auf jenem imperialen Eliten, deren berufliche Karrieren oft reichsweite Laufbahnen bedingten und deren Biographien auf vielfältige Weise mit den Reichstrukturen verbunden waren. Es wird diskutiert, wie diese als Entscheidungsträger und professionelle Experten das Geschehen an verschiedenen Orten des Imperiums nachhaltig beeinflussten. Und es werden die Mobilitätsmuster herausgearbeitet, die die imperialen Karrierewege und Elitenzirkulationen prägten. Darüber hinausgehend werden diese Strukturgegebenheiten mit den Selbstbildern der mobilen Akteure verknüpft. Der Vortrag fragt nach der Genese ihrer Reichsbilder, Loyalitäten und Identitäten. Der Blick auf die individuellen Biographien erlaubt Einsichten in die subjektive Sinngebung der Protagonisten, als deren Erfahrungs-, Vorstellungs- und Erwartungsraum uns das Imperium entgegentritt. In einem zweiten Teil werden diese grundlegenden Überlegungen des Forschungsprojekts anhand der imperialen Eliten zweier Reichbeamten empirisch präzisiert. Die imperialen Biographien von Sokrat I. Starynkevič und Anton S. Budilovič dienen dabei als Schnittstellen zwischen individuellen Lebenswirklichkeiten und ihren Sinndeutungen einerseits sowie den Reichsstrukturen und den bisweilen grenzüberschreitenden Mobilitätsmustern andererseits. Dabei lässt sich zeigen, wie die mentale Landkarte dieser imperialen Akteure von der Entwicklung eines dichotomischen Denkens geprägt wurde, in dem „die Grenzgebiete“ als Kollektivsingular und das Kernland des Imperiums scharf voneinander getrennt wurden. Im Vortrag wird damit zugleich die These vertreten, dass der Fokus auf derartige „imperiale Biographien“ eine Neuausrichtung der Erforschung der Vielvölkerreiche im langen 19. Jahrhundert ermöglicht, indem hier die Wechselwirkungen von strukturellen Mobilitätsmustern, imperiumsweiten Austauschbeziehungen und Akteursperspektiven untersucht werden.