Recensio Moskau 2022-13 : Rezensionen zur internationalen Forschung zur russischen und deutschen Geschichte – Rezensionsreihe des DHI Moskau

Auch in diesem Jahr will das DHI Moskau interessierte russischsprachige Leser*innen mit seiner thematischen Schwerpunktsetzung über aktuelle Themen in der deutschen Geschichtswissenschaft informieren. In den hier ausgewählten Titeln laufen zwei wichtige Diskussionen zusammen, die in Deutschland seit einiger Zeit geführt werden: Die eine betrifft Kontinuitäten in Weltbildern, Denk- und Handlungsweisen, die sich in Deutschland von der Kolonialzeit bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein erstreckten. Hierbei sind nicht nur, aber auch mögliche Traditionen der Gewalt und ihrer Scheinlegitimierung von Belang, wie sie gegebenenfalls im deutschen Vernichtungsfeldzug gegen die Herero und Nama sowie, Jahrzehnte später, im Holocaust wirksam wurden.

Die zweite Debatte ist unmittelbar mit den interpretativen Ansätzen verknüpft. Hier geht es insgesamt um die Frage nach einem angemessenen erinnerungskulturellen Umgang mit den Lasten der Vergangenheit. Mit Blick auf das deutsche Kaiserreich geraten sukzessive frühere deutsche Beutezüge in den Blick, die heutzutage zu Restitutionsforderungen und Restitutionen führen. Grundsätzlicher wird die Verflechtung bzw. Abgrenzung der Argumentationen im Bereich von Erinnerungskultur und Gedenken. Hierbei ist eine genaue Einschätzung von Charakter und Langzeitwirkungen früherer deutscher Kriege gefordert, die postkoloniale Perspektiven und somit auch Kritik an traditionellen Euro-Zentrierungen aufnimmt. Dieser Zugang berührt zugleich zumindest mittelbar den besonderen Stellenwert des Holocaust in gängigen Erinnerungsdiskursen der Bundesrepublik. Vorschläge einer „multidirektionalen Erinnerung“ (Michael Rothberg) und Auseinandersetzungen um adäquate „Fluchtpunkte der Erinnerung“ (Natan Sznaider) werden die Diskussionen in der deutschsprachigen Fachliteratur und im Feuilleton noch längere Zeit beschäftigen.